Arbeitsrechtliche Überlegungen mit Blick auf Corona

Bei Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus betreten die Akteure zumeist Neuland. Einige der wiederholt aufgetretenen Fragen sollen im Folgenden behandelt werden:

  1. Sind Arbeitgeber berechtigt, Beschäftigte in Quarantäne zu schicken?
  2. Sind Arbeitnehmer bei behördlich angeordneter Quarantäne zur häuslichen Arbeitsleistung verpflichtet?
  3. Kann der Arbeitgeber verlangen, dass Beschäftigte ihn über die Art der Erkrankung informieren?
  4. Ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Beschäftigten zu informieren, wenn eine Corona-Infektion im Betrieb aufgetreten ist? Darf er Namen betroffener Mitarbeiter bekannt geben?
  5. Müssen Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber informieren, wenn Corona-Erkrankungen in ihrem privaten Umfeld aufgetreten sind?
  6. Kommen Aufgaben auf den Personalrat zu, wenn in der Dienststelle Corona-Infektionen aufgetreten sind oder gar ein Beschäftigter an COVID-19 erkrankt ist?

Antwort zu 1: 

Die Anordnung sogenannter „Absonderung in häuslicher Quarantäne“ berührt mehrere Grundrechte, insbesondere die Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes. Dementsprechend ist die Befugnis, solche Anordnungen zu treffen, allein der zuständigen Behörde – zumeist dem Gesundheitsamt – vorbehalten (§§ 28 Abs. 1, 30 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz). Das Direktionsrecht (Weisungsrecht nach § 106 Gewerbeordnung) berechtigt Arbeitgeber nicht zu einer derartigen Weisung. Allerdings kann der Arbeitgeber im Falle einer konkreten Ansteckungsgefahr oder zumindest des Verdachts einer Ansteckung Beschäftigte von der Arbeit suspendieren. Je nach Besonderheit des Einzelfalles kann er zu solcher Suspension sogar verpflichtet sein. Das folgt aus seiner Pflicht zu geeigneten und erforderlichen Schutzmaßnahmen nach § 618 BGB. Im Rahmen seines Direktionsrechts dürfte der Arbeitgeber berechtigt sein, von betroffenen Beschäftigten zu verlangen, unverzüglich Kontakt zum Gesundheitsamt aufzunehmen oder zumindest ärztlichen Rat in Anspruch zu nehmen.

Antwort zu 2:

Zeigen sich bei vom Arbeitgeber suspendierten Beschäftigten oder behördlich angeordneter Quarantäne keine Symptome einer Covid-19-Erkrankung, so sind die betroffenen Beschäftigten grundsätzlich zur Arbeitsleistung verpflichtet. Das setzt jedoch voraus, dass die Art der arbeitsvertraglich zu leistenden Tätigkeit von zu Hause möglich ist und die behördlichen Quarantäne-Auflagen eingehalten werden können. Reguläres Homeoffice kommt nur in Betracht, wenn betrieblich der erforderliche Rechtsrahmen unter Beteiligung des Personalrates /Betriebsrates geschaffen wurde. Treten hingegen Covid-19-Krankheitssymptome auf, wird es zur ärztlichen Krankschreibung kommen, die dem Arbeitgeber nachzuweisen ist. Damit erlischt die Pflicht zur Arbeitsleistung.

Antwort zu 3:

In Rechtsprechung und Literatur ist es unbestritten, dass Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet sind, ihrem Arbeitgeber bei Arbeitsunfähigkeit oder auch bei Erkrankungen, die nicht zur Arbeitsunfähigkeit führen, die ärztliche Diagnose zu offenbaren. Die Diagnose unterliegt ihrem informationellen Selbstbestimmungsrecht.

Ausnahmen sind allgemein anerkannt, wenn die Erkrankung eine Gefahr für Personen oder betriebliche Abläufe darstellt (z.B. im Gesundheitswesen, Schuldienst, Gastronomie). Das ist bei Corona-Infektionen oder -erkrankungen zu bejahen. § 241 Abs. 2 BGB begründet das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme von Arbeitnehmer und -geber. Beide Seiten haben die berechtigten Interessen des jeweils anderen zu achten. Hieraus ergibt sich für Arbeitnehmer die Pflicht, dem Arbeitgeber wahrheitsgemäß und ungefragt Erkrankung inkl. ärztlicher Diagnose bekanntzugeben oder den behandelnden Arzt von seiner Schweigepflicht zu entbinden. Das dürfte wegen der Ansteckungsgefahr auch für Infektionen gelten, die noch keine Krankheitssymptome aufweisen. Der Arbeitgeber ist nun seinerseits verpflichtet, äußerst sensibel mit der ihm bekannten medizinischen Situation des Beschäftigten umzugehen. Den Arbeitgeber frühzeitig und vollständig zu informieren, ist vor allem geboten, damit er ggf. erforderliche Schutzmaßnahmen nach § 618 BGB ergreifen kann.

Antwort zu 4:

Angesichts des hochinfektiösen Corona-Virus wird jeder Arbeitgeber auf Einhaltung der allgemeinen Hygieneregeln achten. Tritt in einer Dienststelle eine Corona-Infektion oder zumindest ein Verdachtsfall auf, ist besondere Vorsicht geboten. Aufgrund ihrer arbeitsrechtlichen/ dienstrechtlichen Fürsorgepflicht dürfte es für die Dienststellenleitung obligatorisch sein, die Belegschaft sowohl über den Corona-Fall als auch über die getroffenen Schutzmaßnahmen zu informieren, ebenso ggf. über Anordnungen des Gesundheitsamtes. Den Namen der betroffenen Beschäftigten zu nennen, wird weder notwendig noch mit Blick auf deren informationelles Selbstbestimmungsecht zulässig sein.

Antwort zu 5:

Besteht der Verdacht, dass sich Beschäftigte infiziert haben, weil in ihrem privaten Umfeld Corona-Erkrankungen aufgetreten sind, dürften sie wegen möglicher Ansteckungsgefahr für Dritte verpflichtet sein, ihren Arbeitgeber zu informieren. Fragen des Arbeitgebers über nähere Einzelheiten des Falles wie auch über Einschaltung des Gesundheitsamtes sind wahrheitsgemäß und umfassend zu beantworten. Das folgt aus der oben beschriebenen gegenseitigen Rücksichtnahme von Arbeitgeber und -nehmer nach § 241 Abs. 2 BGB.

Antwort zu 6:

Personalräte sind nach § 81 BPersVG (sowie der entsprechenden Bestimmungen der Landes-Personalvertretungsgesetze) generell aufgerufen, die zuständigen Behörden bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren zu unterstützen.  Von der Dienststellenleitung sind sie offensiv in Arbeitsschutz und Unfallverhütung einzubeziehen und unverzüglich über Auflagen und Anordnungen der für Arbeitsschutz und Unfallverhütung zuständigen Stellen zu informieren. Beabsichtigt die Dienststelle als Folge aufgetretener Corona-Infektionen oder -erkrankung Maßnahmen, die der Mitbestimmung oder Mitwirkung der Personalvertretung unterliegen, ist das Beteiligungsverfahren zügig einzuleiten. Als naheliegende Beispiele seien hier die Mitbestimmungstatbestände “Maßnahmen zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen“ (§ 75 Abs. 3 Nr. 11 BPersVG) sowie „Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten“.  (§ 75 Abs. 3 Nr. 15 BPersVG) anzuführen. Die Personalvertretung ist dazu rechtzeitig und umfassend zu unterrichten, ggf. sind ihr hierfür die erforderlichen Unterlagen vorzulegen (§ 68 Abs. 2 BPersVG).

Losgelöst von diesen formellen Beteiligungsrechten haben Dienststelle und Personalvertretung (gemeinsam) darüber zu wachen, dass alle Angehörigen der Dienststelle nach Recht und Billigkeit behandelt werden (§ 67 Abs. 1 BPersVG). Dabei sollte das „Rechts- und Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen“ gerade in Zeiten der Pandemie Leitmotiv sein.

Unser Autor:

Gerd Tiedemann, eigenständiges Mitglied im dozenten.team, Regierungsdirektor a.D.(Diplom-Verwaltungswirt); ehem. Ortsamtsleiter (sog. „Stadteilbürgermeister“) Hamburg-Finkenwerder sowie Dezernent Bürgerservice im Bezirksamt Hamburg- Mitte, Dozent bei der dbb akademie und bei Walhalla Seminare mit den ThemenArbeits- und Tarifrecht, Personalvertretungsrecht¸ Kommunikationstechniken, Vermittlung mediativer Kompetenzen, Konfliktmanagement, Moderation von Klausurtagungen für Personalräte und Personalverantwortliche